Kant: AA I, Geschichte und Naturbeschreibung ... , Seite 435 |
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01 | unnatürliche Regengüsse, die in 3 Tagen auf 23 Zoll hoch Wasser gaben, | ||||||
02 | das ist mehr, als in einem Lande von mittelmäßig feuchter Beschaffenheit | ||||||
03 | das ganze Jahr hindurch herabfällt. Dieser Regen daürte über 14 Tage, | ||||||
04 | obgleich nicht jederzeit mit gleicher Heftigkeit. Die Flüsse in der Lombardei, | ||||||
05 | die in den Schweizergebürgen ihren Ursprung nehmen, imgleichen die | ||||||
06 | Rhone schwollen von Wasser auf und traten über ihre Ufer. Von dieser | ||||||
07 | Zeit an herrschten fürchterliche Orkane in der Luft, welche überall grausam | ||||||
08 | wütheten. Noch in der Mitte des Novembers fiel in Ulm ein dergleichen | ||||||
09 | Purpurregen, und die Unordnung in dem Luftkreise, die Wirbelwinde | ||||||
10 | in Italien, die überaus nasse Witterung daürten fort. | ||||||
11 | Wenn man sich einen Begriff von den Ursachen dieser Erscheinung | ||||||
12 | und deren Folgen machen will, so muß man auf die Beschaffenheit des | ||||||
13 | Bodens, über dem sie sich zugetragen hat, Acht haben. Die schweizerische | ||||||
14 | Gebirge begreifen insgesammt weitläuftige Klüfte unter sich, die ohne | ||||||
15 | Zweifel mit den tiefsten unterirdischen Gängen im Zusammenhange stehen. | ||||||
16 | Scheuchuer zählt beinahe 20 Schlünde, welche zu gewissen Zeiten Winde | ||||||
17 | ausblasen. Wenn wir nun annehmen, daß die in dem Inneren dieser | ||||||
18 | Höhlen verborgene mineralische Materien mit den Flüssigkeiten, womit sie | ||||||
19 | aufbrausen, in Vermischung und dadurch in eine innere Gährung gerathen | ||||||
20 | sind, die die feuernährende Materien zu derjenigen Entzündung vorbereiten | ||||||
21 | konnte, welche binnen einigen Tagen völlig ausbrechen sollte; wenn | ||||||
22 | wir z. E. diejenige Säure, die in dem Salpetergeiste steckt, und die nothwendig | ||||||
23 | die Natur selber zubereitet, uns vorstellen, wie sie, entweder durch | ||||||
24 | den Zufluß des Wassers, oder andere Ursachen in Bewegung gebracht, | ||||||
25 | die Eisenerde, worauf sie fiel, angriff, so werden diese Materien bei ihrer | ||||||
26 | Vermengung sich erhitzt und rothe warme Dämpfe aus den Klüften der | ||||||
27 | Gebirge ausgestoßen haben, womit in der Heftigkeit der Aufwallung die | ||||||
28 | Partikeln der rothen Eisenerde zugleich vermengt und fortgeführt worden, | ||||||
29 | welches den leimichten Blutregen, davon wir Erwähnung gethan haben, | ||||||
30 | veranlaßt hat. Die Natur solcher Dünste geht dahin die Ausspannungskraft | ||||||
31 | der Luft zu verringern und eben dadurch die in derselben hängende | ||||||
32 | Wasserdünste zusammen fließend zu machen, imgleichen durch das Herbeiziehen | ||||||
33 | aller rund umher in dem Luftkreise schwebenden feuchten Wolken | ||||||
34 | vermöge des natürlichen Abhanges nach der Gegend, wo die Höhe der | ||||||
35 | Luftsäule verringert worden, diejenige heftige und anhaltende Platzregen | ||||||
36 | zu verursachen, welche in den genannten Gegenden wahrgenommen worden. | ||||||
37 | Auf solche Weise kündigte die unterirdische Gährung das Unglück, | ||||||
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