Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 330 |
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01 | weiß, welcher so edel ist, einzusehen, daß in dem Genusse dieser Urquelle | ||||||
02 | der Vollkommenheit die höchste Staffel der Glückseligkeit einzig | ||||||
03 | und allein zu suchen, der allein ist fähig, diesem wahren Beziehungspunkte | ||||||
04 | aller Trefflichkeit sich näher, als irgend etwas anders in der | ||||||
05 | ganzen Natur zu befinden. Indessen wenn ich, ohne an der enthusiastischen | ||||||
06 | Vorstellung des Engländers Theil zu nehmen, von den verschiedenen | ||||||
07 | Graden der Geisterwelt aus der physischen Beziehung ihrer | ||||||
08 | Wohnplätze gegen den Mittelpunkt der Schöpfung muthmaßen soll, so | ||||||
09 | wollte ich mit mehrer Wahrscheinlichkeit die vollkommensten Classen | ||||||
10 | vernünftiger Wesen weiter von diesem Mittelpunkte, als nahe bei demselben | ||||||
11 | suchen. Die Vollkommenheit mit Vernunft begabter Geschöpfe, | ||||||
12 | in so weit sie von der Beschaffenheit der Materie abhängt, in deren | ||||||
13 | Verbindung sie beschränkt sind, kommt gar sehr auf die Feinigkeit des | ||||||
14 | Stoffes an, dessen Einfluß dieselbe zur Vorstellung der Welt und zur | ||||||
15 | Gegenwirkung in dieselbe bestimmt. Die Trägheit und der Widerstand | ||||||
16 | der Materie schränkt die Freiheit der geistigen Wesen zum Wirken | ||||||
17 | und die Deutlichkeit ihrer Empfindung von äußern Dingen gar zu | ||||||
18 | sehr ein, sie macht ihre Fähigkeiten stumpf, indem sie deren Bewegungen | ||||||
19 | nicht mit gehöriger Leichtigkeit gehorcht. Daher wenn man, | ||||||
20 | wie es wahrscheinlich ist, nahe zum Mittelpunkte der Natur die | ||||||
21 | dichtesten und schwersten Sorten der Materie und dagegen in der | ||||||
22 | größeren Entfernung die zunehmenden Grade der Feinigkeit und | ||||||
23 | Leichtigkeit derselben der Analogie gemäß, die in unserm Weltbau | ||||||
24 | herrscht, annimmt, so ist die Folge begreiflich. Die vernünftigen | ||||||
25 | Wesen, deren Erzeugungsplatz und Aufenthalt näher zu dem Mittelpunkte | ||||||
26 | der Schöpfung sich befindet, sind in eine steife und unbewegliche | ||||||
27 | Materie versenkt, die ihre Kräfte in einer unüberwindlichen Trägheit | ||||||
28 | verschlossen enthält und auch eben so unfähig ist, die Eindrücke | ||||||
29 | des Universi mit der nöthigen Deutlichkeit und Leichtigkeit zu übertragen | ||||||
30 | und mitzutheilen. Man wird diese denkende Wesen also in die | ||||||
31 | niedrige Classe zu zählen haben; dagegen wird mit den Entfernungen | ||||||
32 | vom allgemeinen Centro diese Vollkommenheit der Geisterwelt, welche | ||||||
33 | auf der gewechselten Abhängigkeit derselben von der Materie beruht, | ||||||
34 | wie eine beständige Leiter wachsen. In der tiefsten Erniedrigung zu | ||||||
35 | diesem Senkungspunkte hat man diesem zufolge die schlechtesten und | ||||||
36 | unvollkommensten Gattungen denkender Naturen zu setzen, und hiewärtshin | ||||||
37 | ist, wo diese Trefflichkeit der Wesen sich mit allen Schattirungen | ||||||
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