Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 222 |
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| 01 | Schritte die Nebel sich zerstreuen sah, welche hinter ihrer Dunkelheit | ||||||
| 02 | Ungeheuer zu verbergen schienen und nach deren Zertheilung die | ||||||
| 03 | Herrlichkeit des höchsten Wesens mit dem lebhaftesten Glanze hervorbrach. | ||||||
| 04 | Da ich diese Bemühungen von aller Sträflichkeit frei weiß, | ||||||
| 05 | so will ich getreulich anführen, was wohlgesinnte oder auch schwache | ||||||
| 06 | Gemüther in meinem Plane anstößig finden können, und bin bereit | ||||||
| 07 | es der Strenge des rechtgläubigen Areopagus mit einer Freimüthigkeit | ||||||
| 08 | zu unterwerfen, die das Merkmaal einer redlichen Gesinnung ist. Der | ||||||
| 09 | Sachwalter des Glaubens mag demnach zuerst seine Gründe hören | ||||||
| 10 | lassen. | ||||||
| 11 | Wenn der Weltbau mit aller Ordnung und Schönheit nur eine | ||||||
| 12 | Wirkung der ihren allgemeinen Bewegungsgesetzen überlassenen Materie | ||||||
| 13 | ist, wenn die blinde Mechanik der Naturkräfte sich aus dem Chaos so | ||||||
| 14 | herrlich zu entwickeln weiß und zu solcher Vollkommenheit von selber | ||||||
| 15 | gelangt: so ist der Beweis des göttlichen Urhebers, den man aus dem | ||||||
| 16 | Anblicke der Schönheit des Weltgebäudes zieht, völlig entkräftet, die | ||||||
| 17 | Natur ist sich selbst genugsam, die göttliche Regierung ist unnöthig, | ||||||
| 18 | Epikur lebt mitten im Christentume wieder auf, und eine unheilige | ||||||
| 19 | Weltweisheit tritt den Glauben unter die Füße, welcher ihr ein helles | ||||||
| 20 | Licht darreicht, sie zu erleuchten. | ||||||
| 21 | Wenn ich diesen Vorwurf gegründet fände, so ist die Überzeugung, | ||||||
| 22 | die ich von der Unfehlbarkeit göttlicher Wahrheiten habe, bei mir so | ||||||
| 23 | vermögend, daß ich alles, was ihnen widerspricht, durch sie für gnugsam | ||||||
| 24 | widerlegt halten und verwerfen würde. Allein eben die Übereinstimmung, | ||||||
| 25 | die ich zwischen meinem System und der Religion antreffe, erhebt meine | ||||||
| 26 | Zuversicht in Ansehung aller Schwierigkeiten zu einer unerschrockenen | ||||||
| 27 | Gelassenheit. | ||||||
| 28 | Ich erkenne den ganzen Werth derjenigen Beweise, die man aus der | ||||||
| 29 | Schönheit und vollkommenen Anordnung des Weltbaues zur Bestätigung | ||||||
| 30 | eines höchstweisen Urhebers zieht. Wenn man nicht aller Überzeugung | ||||||
| 31 | muthwillig widerstrebt, so muß man so unwidersprechlichen Gründen | ||||||
| 32 | gewonnen geben. Allein ich behaupte: daß die Vertheidiger der Religion | ||||||
| 33 | dadurch, daß sie sich dieser Gründe auf eine schlechte Art bedienen, den | ||||||
| 34 | Streit mit den Naturalisten verewigen, indem sie ohne Noth denselben | ||||||
| 35 | eine schwache Seite darbieten. | ||||||
| 36 | Man ist gewohnt die Übereinstimmungen, die Schönheit, die | ||||||
| 37 | Zwecke und eine vollkommene Beziehung der Mittel auf dieselbe in | ||||||
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