Kant: AA I, Untersuchung der Frage, ob die ... , Seite 189 |
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01 | gleicher Dichtigkeit mit der Materie der Gewässer annähme. Auf | ||||||
02 | diesen Fuß würde in mäßigen Perioden, da die gedachte Verminderung | ||||||
03 | noch nicht viel beträgt, z. E. in einer Zeit von 2 tausend Jahren, die | ||||||
04 | Verzögerung so viel austragen: daß ein Jahreslauf nach diesem | ||||||
05 | 8 1/2 Stunden weniger als vorher in sich halten müßte, weil die Achsendrehung | ||||||
06 | um so viel langsamer geworden. | ||||||
07 | Nun leidet zwar die Abnahme der täglichen Bewegung dadurch | ||||||
08 | große Einschränkungen: daß 1. die Dichtigkeit der ganzen Erdmasse | ||||||
09 | nicht, wie hier vorausgesetzt worden, der specifischen Schwere des | ||||||
10 | Wassers gleich ist; 2. die Geschwindigkeit des fluthenden Meeres in | ||||||
11 | dessen offener Weite ungleich gringer als ein Fuß in einer Secunde | ||||||
12 | zu sein scheint; dagegen aber wird dieser Mangel überflüssig ersetzt, | ||||||
13 | dadurch daß 1. die Kraft der Erdkugel, die hier als in fortschießender | ||||||
14 | Bewegung mit der Geschwindigkeit eines Punkts unter | ||||||
15 | dem Äquator berechnet worden, nur eine Achsendrehung ist, die ungleich | ||||||
16 | gringer ist, über dieses auch die Hinderniß, welche auf der | ||||||
17 | Oberfläche einer sich umdrehenden Kugel angebracht ist, den Vortheil | ||||||
18 | des Hebels durch seinen Abstand vom Mittelpunkte an sich hat, welche | ||||||
19 | beide Ursachen zusammen genommen die Verminderung durch den Anlauf | ||||||
20 | der Gewässer um 5/2 vermehren, 2tens aber, welches das Vornehmste | ||||||
21 | ist, diese Wirkung des bewegten Oceans nicht lediglich gegen | ||||||
22 | die über den Meeresgrund hervorragende Unebenheiten, das feste Land, | ||||||
23 | die Inseln und Klippen, geschieht, sondern auf dem ganzen Meeresgrunde | ||||||
24 | ausgeübt wird, die zwar in jedem Punkte ungleich weniger | ||||||
25 | als beim senkrechten Anlaufe der erstern Berechnung austrägt, dagegen | ||||||
26 | aber durch die Größe des Umfanges, in welchem sie geschieht, der die | ||||||
27 | vorerwähnte Fläche über 1/8 Millionen mal übertrifft, mit einem erstaunlichen | ||||||
28 | Überflusse ersetzt werden muß. | ||||||
29 | Man wird diesemnach ferner nicht zweifeln können: daß die | ||||||
30 | immerwährende Bewegung des Weltmeeres von Abend gegen Morgen, | ||||||
31 | da sie eine wirkliche und namhafte Gewalt, auch immer etwas zu | ||||||
32 | Verminderung der Achsendrehung der Erde beitrage, deren Folge in | ||||||
33 | langen Perioden unfehlbar merklich werden muß. Nun sollten billig | ||||||
34 | die Zeugnisse der Geschichte herbeigeführt werden, um die Hypothese | ||||||
35 | zu unterstützen; allein ich muß gestehen, daß ich keine Spuren einer | ||||||
36 | so wahrscheinlich zu vermuthenden Begebenheit antreffen kann und | ||||||
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