Kant: AA I, Gedanken von der wahren ... , Seite 181 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | § 163. |
||||||
02 | So haben wir denn unser Geschäfte vollführt, welches in Ansehung | ||||||
03 | des Vorwurfs, worauf es gerichtet war, groß genug gewesen ist, wenn | ||||||
04 | nur die Ausführung diesem Unterfangen gemäß gewesen wäre. Ich | ||||||
05 | bilde mir ein, daß ich, insonderheit was das Hauptwerk betrifft, auf | ||||||
06 | eine unwidersprechliche Gewißheit Anspruch machen könne. In Ansehung | ||||||
07 | dieses Vorzuges, dessen ich mich anmaße, kann ich die gegenwärtige | ||||||
08 | Handlung nicht endigen, ohne vorher mit meinen Gläubigern | ||||||
09 | die Rechnung an Gelehrsamkeit und Erfindung zu schließen. Nach den | ||||||
10 | scharfsinnigen Bemühungen der Cartesianer war es nicht schwer, die | ||||||
11 | Verwirrung der Quadratschätzung mit der Mathematik zu Verhüten, | ||||||
12 | und nach den sinnreichen Anstalten der Leibnizianer war es fast unmöglich, | ||||||
13 | sie in der Natur zu vermissen. Die Kenntniß dieser zwei | ||||||
14 | äußersten Grenzen mußte ohne Schwierigkeit den Punkt bestimmen, | ||||||
15 | darin das Wahre von beiden Seiten zusammen fiel. Diesen anzutreffen, | ||||||
16 | war nichts weniger als eine große Scharfsinnigkeit nöthig, es bedurfte | ||||||
17 | nur einer kleinen Abwesenheit des Parteieneifers und ein kurzes Gleichgewicht | ||||||
18 | der Gemüthsneigungen, so war die Beschwerde sofort abgethan. | ||||||
19 | Wenn es mir gelungen hat, in der Sache des Herrn von Leibniz einige | ||||||
20 | Fehltritte wahrzunehmen, so bin ich dennoch auch hierin ein Schuldner | ||||||
21 | dieses großen Mannes, denn ich würde nichts vermocht haben ohne | ||||||
22 | den Leitfaden des vortrefflichen Gesetzes der Continuität, welches wir | ||||||
23 | diesem unsterblichen Erfinder zu danken haben, und welches das einzige | ||||||
24 | Mittel war, den Ausgang aus diesem Labyrinthe zu finden. Kurz, | ||||||
25 | wenn gleich die Sache aufs beste zu meinem Vortheile ausfällt: so | ||||||
26 | ist der Antheil der Ehre, der mir übrig bleibt, doch so gering, daß ich | ||||||
27 | nicht befürchte, die Ehrsucht könne sich so weit erniedrigen, mir dieselbe | ||||||
28 | zu mißgönnen. | ||||||
29 | Ende. | ||||||
[ Seite 180 ] [ Seite 183 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |