Kant: AA I, Gedanken von der wahren ... , Seite 171 |
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01 | Feder sich nur demjenigen Grade Geschwindigkeit entgegensetzt, welcher | ||||||
02 | hinlänglich ist, sie zu spannen; folglich bei jedem unendlich kleinen | ||||||
03 | Grade der Eindrückung, die sie leidet, nur immer einen unendlich kleinen | ||||||
04 | Grad der Geschwindigkeit des anstoßenden Körpers erduldet und | ||||||
05 | also jeden Augenblick nicht der ganzen Geschwindigkeit, sondern nur | ||||||
06 | dem unendlich kleinen Grade entgegengesetzt ist und ihn in sich aufnimmt, | ||||||
07 | bis die succesive Häufung die ganze Geschwindigkeit in den | ||||||
08 | leidenden Körper auf diese Weise übertragen hat. | ||||||
09 | Hieraus folgt laut dem vorhergehenden: daß, da der anstoßende | ||||||
10 | Körper hier nur nach einander mit einzelnen unendlich kleinen Graden | ||||||
11 | seiner Geschwindigkeit wirkt, er auch nur in schlechter Proportion seiner | ||||||
12 | Geschwindigkeit wirken werde ohne Nachtheil seiner lebendigen Kraft, | ||||||
13 | die er dem ungeachtet in sich haben kann. | ||||||
14 | § 150. |
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15 | Das beliebte Gesetz des Herrn von Leibniz von der unveränderten | ||||||
16 | Erhaltung einerlei Größe der Kraft in der Welt ist noch ein Vorwurf, | ||||||
17 | der allhier eine genaue Prüfung zu erfordern scheint. Es leuchtet | ||||||
18 | sogleich in die Augen: daß, wenn in den bisherigen Betrachtungen | ||||||
19 | etwas Gegründetes ist, es in derjenigen Bedeutung, darin es sonst | ||||||
20 | aufgenommen worden, nicht statt finden könne. Was aber unsere | ||||||
21 | Schätzung in diesem Stücke einführen würde, und wie sie den Regeln | ||||||
22 | der allgemeinen Harmonie und Ordnung, welche besagtes Leibnizische | ||||||
23 | Gesetz so preiswürdig gemacht haben, Gnüge leisten könne, das erlaubt | ||||||
24 | mir die Beschaffenheit unseres Vorhabens und die Ermüdung, welche | ||||||
25 | ich in einer so rauhen und ungebähnten Materie mit Recht von der | ||||||
26 | Aufmerksamkeit meines gelehrten Lesers besorge, und die ich vielleicht | ||||||
27 | schon gar zu sehr beleidigt zu haben befürchten muß, nicht, gehörig | ||||||
28 | zu entwerfen, obgleich ich im Besitze bin, einige Abrisse davon darzulegen. | ||||||
30 | § 151. |
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31 | Wir befinden uns jetzt in dem Lande der Erfahrungen; ehe wir | ||||||
32 | aber darin Besitz nehmen können, müssen wir erst gewiß sein, daß diejenige | ||||||
33 | Ansprüche vertilgt worden, welche ein gegründeteres Recht hierauf | ||||||
34 | zu haben vorschützen und uns aus diesem Gebiete verdringen wollen. | ||||||
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