Kant: AA I, Gedanken von der wahren ... , Seite 070 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
Randtext (Kant)
|
|
||||
01 | Die Anhänger der lebendigen Kräfte haben sich hiemit verwirrt. | ||||||
02 | Sie bilden sich ein, weil in der Natur ein unelastischer Körper gemeiniglich | ||||||
03 | einen solchen Bau hat, daß seine Theile beim Stoße weichen | ||||||
04 | und eingedrückt werden, so können die Regeln, die eine pur mathematische | ||||||
05 | Betrachtung der Bewegung solcher Körper darbietet, ohne diese | ||||||
06 | Eigenschaft auch nicht bestehen. Dies ist der Ursprung derjenigen Schwierigkeit, | ||||||
07 | die wir in § 60 gesehen, und die ganz ohne Grund ist, wie wir | ||||||
08 | jetzt lernen werden. | ||||||
09 | § 62. |
||||||
10 | In der Mathematik versteht man unter der Federkraft | Erste Antwort | |||||
11 | eines Körpers nichts anders, als diejenige Eigenschaft, | auf die | |||||
12 | durch die er einen andern Körper, der an ihn anläuft, | Ausnahme der | |||||
13 | mit eben demselben Grade Kraft wieder zurückstößt, mit | Leibnizianer. | |||||
14 | welchem dieser an ihn angelaufen war. Daher ist ein unelastischer | ||||||
15 | Körper ein solcher, der diese Eigenschaft nicht hat. | ||||||
16 | Die Mathematik bekümmert sich nicht um die Art und Weise, wie | ||||||
17 | sich diese Eigenschaft in der Natur hervorthut. Es ist und bleibt bei | ||||||
18 | ihr gänzlich unbestimmt: ob die Elasticität aus der Änderung der | ||||||
19 | Figur und einer plötzlichen Herstellung derselben herfließe, oder ob | ||||||
20 | eine verborgene Entelechie, eine qualitas occulta , oder Gott weiß, was | ||||||
21 | nach sonst für eine Ursache mehr, die Quelle derselben sei. Wenn | ||||||
22 | man in den Mechaniken die Elasticität so beschrieben findet, daß sie | ||||||
23 | aus der Eindrückung und Zurückspringung der Theile eines Körpers | ||||||
24 | entstehe, so merke man: daß die Mathematiker, die sich dieser Erklärung | ||||||
25 | bedienen, sich in dasjenige mengen, was sie nicht angeht, was zu ihrer | ||||||
26 | Absicht nichts thut, und was eigentlich ein Vorwurf der Naturlehre ist. | ||||||
27 | Wenn demnach die Betrachtung eines unelastischen Körpers in | ||||||
28 | der Mathematik nichts weiter voraussetzt, als nur, daß er in sich keine | ||||||
29 | Kraft habe einen Körper, der an ihn stößt, wieder zurück zu prellen, | ||||||
30 | und wenn diese einzige Bestimmung dasjenige ist, worauf das ganze | ||||||
31 | Hauptstück der Bewegung unelastischer Körper gebauet ist: so ist es | ||||||
32 | ungereimt zu behaupten: daß die Regeln dieser Bewegungen deswegen | ||||||
33 | so beschaffen seien, weil die Eindrückung der Theile der sich stoßenden | ||||||
34 | Körper solche und keine andere Gesetze zulassen. Denn in den Grundsätzen, | ||||||
35 | daraus man diese Gesetze gezogen, findet man keine Spur von | ||||||
36 | dem Eindrücken der Theile. Alle Begriffe, worauf man dieselbe gebauet | ||||||
37 | hat, sind so unbestimmt in Absicht auf diese Einschränkung, daß man | ||||||
[ Seite 069 ] [ Seite 071 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |